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ZEITSCHRIFTEN / Neurologie & Rehabilitation / Archiv / 2015_2 / Abstract 5
 

Neurol Rehabil 2015; 21 (2): 94-104                                                                                         KASUISTIK


Über die sprachlich-narrative Einholbarkeit subjektiven Erlebens nach einer Hirnschädigung. Komplexe und einfache Patient_innen-Erzählungen im Vergleich

T. Jesch

Pädagogische Hochschule Freiburg, Institut für deutsche Sprache und Literatur

Zusammenfassung
Einführung in die theoretischen und methodischen Grundlagen: Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, ob die eigentlich auf schriftliche Erzählprosa zugeschnittene narratologisch-strukturalistische Analyse der semantischen Text-Tiefenstruktur sowie des unzuverlässigen Erzählens die Deutung einfacher Patient_innen-Erzählungen bereichert. Um diese Frage zu beantworten, wird zusätzlich ein intertextuelles Verfahren eingesetzt, das in der Rezeption einer medial und konzeptionell mündlichen Patienten-Erzählung vor der Folie einer komplexeren, medial und konzeptionell schriftlichen Patienten-Erzählung besteht. Insgesamt werden die beiden Patientenerzählungen, auch vor dem Hintergrund der psychoanalytischen Traumaforschung, bezüglich der erzählerischen Konstruktion biografischer Kontinuität und Diskontinuität verglichen – auf der Suche nach dialogischen Ansatzpunkten, um im therapeutischen Gespräch zu einem kontinuierlicheren Lebens- und Selbstentwurf nach einer Hirnschädigung beizutragen.
Patienten, Material und theoriegeleitete Anwendung der Methoden: Exemplarisch wird ein Transkript aus der mündlichen Erzählung eines hirngeschädigten ehemaligen Bauhandwerkers intertextuell auf einen Tagebuchauszug des in einem Attentat durch Kopfschüsse verletzten Politikers Rudi Dutschke bezogen. Beide Texte werden auf ihre semantischen – unter Umständen traumatisch bedingten – Paradigmata und Oppositionen sowie auf Indizien eines (nicht im moralischen Sinne!) unzuverlässigen Erzählens hin untersucht, das psychoanalytisch womöglich als Kompromissbildung zwischen Mitteilung und Abwehr des Traumas zu erklären ist.
Ergebnisse: Die einfache Patientenerzählung lässt sich vor der intertextuellen Folie der komplexeren Erzählung rezipieren. Deren differenziertere und kontinuierlichere biografische Konstruktion liefert – insbesondere bei Beachtung von Unzuverlässigkeits-Signalen der einfachen Erzählung – möglichen Gesprächspartner_innen solcher Patient_innen exemplarische Ansatzpunkte für eine Gesprächsführung, die Hirnverletzten mehr Kontinuität in der biografischen Selbstkonstruktion ermöglicht.

Schlüsselwörter: Patient_innen-Erzählung, Narratologie, Unzuverlässiges Erzählen, semantische Tiefen-struktur, Intertextualität, Psychoanalyse, Traumatheorie


© Hippocampus Verlag 2015


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